Kurz vor Zen

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Reise

Als Familie für ein halbes Jahr ins Ausland – das kann stressig werden. Es sei denn, man entscheidet sich für das japanische Kyoto

Kleine, uralte Fachgeschäfte wie den Kunsthandel Saiundo gibt es in der Stadt viele. Tina Berning kauft hier besonders gerne ihre Arbeitsutensilien
Schlichte Schönheit: eine Tagebuchzeichnung von Tina Berning, befestigt an einer Schrankwand in ihrem Zuhause auf Zeit
FOTOS & ILLUSTRATIONEN Tina Berning
Big Smile in Japan: Tina Berning

Ein bisschen unwirklich fühlt es sich an, wenn sie an manchen Tagen mehr als zehn Kilometer zu Fuß durch die alte japanische Kaiserstadt zurücklegen. Gleichzeitig fragen sich Tina Berning und ihr Mann Julio Rondo, warum sie das nicht schon viel früher gemacht haben: ein Ziel ausgesucht, die Koffer gepackt und die Welt für ein paar Monate ganz neu entdecken – die ganze Familie, auf frischen, unverbrauchten Pfaden. Zumal Japan mit seiner langen Tradition der Tuschemalerei für die Zeichnerin aus Berlin und ihren Ehemann, ebenfalls Künstler, ein naheliegendes Ziel ist. Aber ohne Tochter Alma wären sie nicht hier.

„Vor ungefähr einem Jahr saßen wir beim Abendessen in Berlin, und Alma meinte, dass sie so gerne mal in Japan zur Schule gehen würde“, erzählt Tina Berning und lacht. „Eine 13-Jährige unter Tiktok-Einfluss, klar, sie liebt japanische Popkultur!“ Ganz unrealistisch finden die Eltern den Vorschlag damals nicht. Ein ausgedehnter Familienaufenthalt im Ausland, nach den zähen Pandemiejahren, in denen beide viel gearbeitet und deshalb auch gut verdient haben – vielleicht genau das Richtige. „Am Ende haben wir einfach keinen Grund gefunden, es nicht zu machen“, sagt die 54-Jährige. Nicht mal das Schulsystem spricht dagegen, weil Alma in Berlin eine internationale Schule besucht. Schließlich fällt die Wahl auf Kyoto, weil es im Gegensatz zu anderen japanischen Großstädten so viel entspannter ist.

Schmale Gassen, Tempel, naturbelassene Auen – die Zeit scheint hier stillzustehen

Die Zeit scheint an diesem Ort stillzustehen. Man bewegt sich durch schmale Gassen, irgendjemand fegt immer die Straße, irgendwo steht immer ein Eimer mit Fischen oder Schildkröten. Zwischendurch buddhistische Tempel und Schreine, von denen es hier mehr als 2000 gibt. Und dann natürlich die Burganlage Nijō, mehr Palast als Burg, mit den imposanten Toreingängen, hinter denen einst die Shogune residierten, der alte Kriegeradel des Landes. Die Wiege der japanischen Kultur ist Kyoto, und gleichzeitig begegnet einem das moderne Japan in Form von allgegenwärtigen Getränkeautomaten, zwitschernden Ampeln, Spielhallen, Universitäten, Hochgeschwindigkeitszügen.

Vor allem die Mischung fasziniert Tina Berning: „Alles ist mühelos verbunden in einem vor 1200 Jahren klar angelegten Raster von durchnummerierten Straßen, unterbrochen vom Flu

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