Lange war Marina Abramović für radi kale Per for mances bekannt. Jetzt entdeckt sie die schönen Seiten
TEXT Oliver Koerner von Gustorf
Eher klein ist er, schmal, hellgrüner Einband, auf dem Titel eine gestikulierende Frau, zu sehen im Profil, dazu der Titel: „Psychoanalytikerin trifft Marina Abramović“. Zwei Freundinnen und Expertinnen unterhalten sich in dem Band, der unscheinbar daherkommt und doch so gewaltig ist. Hier die Schweizerin Jeannette Fischer, eine internationale Koryphäe der Psychoanalyse – dort die weltweit gefeierte Marina Abramović, deren großes Thema im Leben wie in der Kunst der Schmerz ist. Schonungslos lässt sich die 77-jährige Serbin in diesem Buch sezieren und seziert sich selbst. Man kennt es nicht anders von der Performancekünstlerin.
Schon immer hat sie nach extremen Erfahrungen gesucht, die sie selbst und andere an Grenzen führen. Und wer nach dem Ursprung dieser Faszination für Schmerz und Trauma sucht, muss sich in die Vergangenheit begeben. 1946 wird Marina Abramović in Belgrad geboren. „Ich komme von einem dunk len Ort. Nachkriegs-Jugoslawien, Mitte der 1940er- bis Mitte der 1970er-Jahre“, schreibt sie in ihrer Biogra fie, „eine kommunistische Diktatur, ständiger Mangel an allem, Tristesse überall.“ Die ersten sechs Jahre wächst sie bei den Großeltern auf. Nach der Geburt des Bruders kommt das Mädchen zu den Eltern. Die Mutter, ehemalige Partisanin, erzieht mit